„Ein Zelt voller Geschichten“ nannte die BJS Berliner Journalistenschule ihre Traglufthalle vor dem ehemaligen Zentralflughafen Tempelhof. Darin trafen sich von Montag bis Mittwoch,
10. bis 12. Oktober 2016, Flüchtlinge und junge Berliner, um ihre Medienkompetenz – vor allem zum Thema Fake-News – zu stärken und einander kennenzulernen.
In der Luft der Geruch von Koriander und Minze, Männer und Frauen, die Tomaten schneiden, Salatköpfe waschen oder mit Kochlöffeln in dampfenden Töpfen rühren: Ein Team von etwa 80 Berlinern und Geflüchteten arbeitete beim gemeinsamen Kochen am Abend des zweiten Projekttages im „Zelt voller Geschichten“ zusammen.
Dabei dominierten eindeutig die Frauen aus der Flüchtlingsunterkunft am Ex-Flughafen Tempelhof das Geschehen. Kein Wunder. „Nirgendwo in Syrien wird besser gekocht als in Aleppo“, sagte die Chefköchin – aus Aleppo. Wenn sich alle an ihre Anweisungen halten würden, werde auch das Kochen in der Großgruppe funktionieren.
Es klappte. Aus Reis, Freekeh, also grünem Weizen, Hühnerfleisch und verschiedenen Gewürzen entstanden Berge leckeren Essens. Tabouleh als Vorspeise, zum Nachtisch Obstsalat. Dazu Gespräche, Musik und anschließend gemeinsames Aufräumen.
Ein Abend, der ohne den Caterer Luna nicht möglich gewesen wäre. Dessen Team versorgte nicht nur die Teilnehmer unseres von der Robert Bosch Stiftung finanzierten Projektes „Ein Zelt voller Geschichten“. Luna stellte auch das komplette Geschirr und die Kochutensilien.
Für die in der Unterkunft am Ex-Flughafen lebenden Geflüchteten war das Kochen ein ganz besonderes Ereignis. In den Hangars können sie nicht selber kochen. Aber auch einer unserer Dolmetscher sagte kurz vor Mitternacht: „Also diesen Abend, den werde ich nicht vergessen.“
Am Abschlusstag diskutierten die Workshop-Teilnehmer zusammen mit Gästen aus Politik und Zivilgesellschaft, wie die Erfahrungen und Erkenntnisse des dreitägigen Treffens weitergetragen werden können.
Einen Mitschnitt der öffentlichen Veranstaltung sendete INFOradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg am Sonntag, 16. Oktober 2016.
Von Michael Link
Am Montagabend wurde die Halle – technisch ein temporäres Bauwerk in Form einer Luftblase aus Kunststofffolie der Berliner Architektengruppe Raumlabor – zum „Zelt der Erfahrungen“. Experten tauschten sich zur Flüchtlingsaufnahme aus. „Was haben wir geschafft? Wo müssen wir besser werden?“, waren die Fragen des Abends.
An der Diskussion nahmen teil: Sascha Langenbach, Sprecher des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten, Michael Elias, Geschäftsführer der Tamaja GmbH (Betreiberin der Notunterkunft Tempelhof), Bianka Pergande, Mitarbeiterin der Kinderschutzorganisation Save the Children und Sascha Kellermann, Gründer des Vereins Tempelhof Welcome. Die von BJS-Leiter Olaf Jahn eingeladene Runde moderierte Arno Makowsky, stellvertretender Chefredakteur des Tagesspiegels. Ermöglicht wurde das Projekt "Ein Zelt voller Geschichten" durch die Förderung der Robert Bosch Stiftung GmbH.
„Man hätte mit der Situation entspannter umgehen können, wenn man sich vorbereitet hätte“: Alle seien von den Ansturm überrascht worden, obwohl er absehbar war, sagte Elias. „Aber mit einer Million hat niemand gerechnet“. Gleichwohl hätte die Zivilgesellschaft in der Not ihre Stärke bewiesen und gut funktioniert. Fast 500 Freiwillige hätten in den vergangenen zwölf Monaten im Flughafen Tempelhof bei der Erstversorgung der Flüchtlinge geholfen. „Wir hatten anfangs Personalprobleme“, sagte Elias, „aber die Flüchtlinge waren keinem von uns egal, auch nicht bei aller Belastung“.
„Die Situation hat sich entspannt.“ (Michael Elias)
Bis zu 3000 Geflüchtete fanden in den Hangars von Tempelhof zeitweise eine erste Unterkunft. Die vom Berliner Flüchtlingsrat 2015 kritisierte Situation in den Hangars habe sich deutlich entspannt, so Elias. Es seien stabilere Strukturen entstanden, viele Geflohene seien in bezirkliche Einrichtungen oder in Wohnungen gezogen. Es gebe Kontakte in die Arbeitswelt. Derzeit sind noch 1500 Flüchtlinge in Tempelhof untergebracht. Über 100 Organisationen seien aktuell bei der Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft engagiert. Die Integration in die Gesellschaft gehe aber nicht schnell genug.
„Wir haben verdammt hart gearbeitet.“ (Sascha Langenbach)
Wegen des Versagens bei dem Ansturm der Flüchtlinge war das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten Ende 2015 bundesweit heftig in die Kritik geraten. Sprecher Sascha Langenbach verteidigte die Behörde. „Wir waren nicht zufrieden mit der Situation, aber wir haben verdammt hart gearbeitet, um sie in den Griff zu bekommen“, sagte er. Und wollte sich nicht einen Seitenhieb auf die Presse verkneifen: „Es war ja keine große Kunst in dieser Ausnahmesituation, vom Fernsehstudio Unter den Linden in die Erstaufnahmestelle in Moabit zu gehen und dort die langen Schlangen der Wartenden abzufilmen.“
„Der Senat hätte steuern müssen.“ (Michael Elias)
Elias beklagte allerdings rückschauend, dass die Berliner Verwaltung Ende 2015 nicht an einem Strang gezogen habe. „Es fehlte bei der Koordinierung an einem gemeinsamen Willen des Senats. Es wäre Aufgabe des Regierenden Bürgermeister gewesen, diesen herzustellen“, sagte Elias. So sei Energie zwischen den verschiedenen Verwaltungen verpufft.
„Wir brauchen Kinderschutzstandards.“ (Bianka Pergande)
Bianka Pergande wies vor allem auf die Situation der geflohenen Kinder und Jugendlichen hin. Bei deren Erstbetreuung gebe es noch erhebliche Mängel – angefangen von Spielzeug und pädagogischen Angeboten über geschützte Räume für Arbeit mit den Kindern in den Unterkünften bis hin zum Kinderschutz. „Wir brauchen Schutzstandards für alle geflüchteten Kinder“, sagte sie. „Und dieser Schutz muss auch durchsetzbar sein. So weit sind wir noch lange nicht“ – trotz großer Anstrengungen in einzelnen Unterkünften.
Eine Mitarbeiterin der Unterkunft in Tempelhof sagte, nach einer bundesweiten Regelung seien derzeit 3,5 Betreuer für 200 Kinder vorgesehen. Das reiche nicht. Man habe in Tempelhof aus eigenen Mitteln immerhin einen Kinderschutzbeauftragten eingestellt.
„Flüchtlinge sind keine schlimmeren Menschen als andere.“ (Sascha Langenbach)
Auch die Frage sexueller Gewalt in den Notunterkünften wurde diskutiert. Konkrete Zahlen gebe es nicht, Bianka Perganda nannte die Zahl von 200 bis 300 gemeldeten Übergriffen in den vergangenen drei Monaten bundesweit. Die Notunterkünfte zu Hotspots sexueller Übergriffe zu erklären, dagegen verwahrten sich alle.
„Täter bei sexuellen Übergriffen sind immer Männer, unabhängig woher sie kommen. Flüchtlinge sind keine schlimmeren Menschen als andere auch“, sagte Sascha Langenbach.
„Integration braucht langen Atem." (Bianka Pergande)
Dass für die integration der Geflohenen ein langer Atem nötig sei, darauf wiesen Beiträge von Diskutanten und den Experten hin. Kulturelle Unterschiede ließen sich nicht mit einem Fingerschnippen überwinden. Bianka Pergande sprach von einem „langen Atem“. Das sah auch Sascha Kellermann vom Verein THF Welcome so. Die aus der Facebook-Initiative „Tempelhof hilft“ hervorgegangene Gruppe betreibt ein Café im Hangar 1 und hilft bei der Integration.
Kellermann stellte fest, es sei vor allem schwer, die geflüchteten Frauen anzusprechen – es sei denn, man biete spezielle Veranstaltungen nur für Frauen an. Dem pflichtete Christian Matiack bei, der als Ehrenamtlicher jeden Freitagnachmittag Deutschunterricht für Flüchtlinge gibt. Er sehe fast nur Männer in seinen Gruppen. Kellermann: „Es braucht vor allem Vertrauensbildung, dass die kulturellen Prägungen überwunden werden. Man macht Angebote in Gruppen, bis das Vertrauen da ist, und dann öffnet man die Gruppen. Völlig klar, dass das viel Zeit braucht."
Kennen und Lernen – wir bringen junge und alte Berliner und Geflüchtete zusammen in Workshops zu den Themen Medien, Foto und Bauen sowie beim gemeinsamen Kochen.
Was ist wahr? Was ist richtig? Auf welche Informationen kann ich mich verlassen?
Das fragen sich immer mehr Menschen, gerade bei Ereignissen wie der Flüchtlingskrise. Besonders bei jungen Menschen prägen zunehmend Social Media, und nicht professionelle Medien, die Erzählung über solche umwälzenden Entwicklungen. Doch angesichts der großen Zahl von Gerüchten, Halb- und Unwahrheiten im Internet wird eines immer wichtiger: Die Kompetenz, Fakten von bloßen Behauptungen zu unterscheiden. Zu verstehen, wie Medien arbeiten – und warum sie anderes berichten als soziale Netzwerke.
Mit einem innovativen, von der Robert Bosch Stiftung geförderten Projekt auf dem ehemaligen Flughafen Tempelhof, das sich an Berliner und Geflüchtete richtet, wollen die Berliner Journalistenschule und ihr Projektpartner Codastory, eine internationale journalistische Plattform, vom 10. bis 12. Oktober die Medienkompetenz der Teilnehmer stärken und sie in interaktiven Workshops zusammenbringen. Codastory-Recherchen liefern neue, auch internationale Perspektiven zur Flüchtlingsdebatte, die in den Workshops diskutiert werden. Medienpartner sind der Tagesspiegel sowie INFOradio vom Rundfunk Berlin-Brandenburg. Der Schul-Caterer LUNA sponsort die Mittagsversorgung.
In einer großen durchsichtigen Kunststoffblase, dem sogenannten Küchenmonument des Architektenkollektivs raumlabor Berlin, bieten wir Formate, bei denen die Teilnehmer sich aktiv beteiligen können:
Interessierte ab 16 Jahren können sich anmelden unter zelt@berliner-journalisten-schule.de. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt.